Aus dem Fenster seines Hauses sah ein Afrikaner namens Benedito, wie ein schmächtiger Junge von einem größeren
und stärkeren Jungen zusammengeschlagen wurde. Er rief den kleinen zu sich und sagte ihm: „Komm her mein Sohn, mit dem kannst du es nicht aufnehmen, weil er größer und älter ist als du. Statt deine Zeit damit zu verplempern, Drachen steigen zu lassen, kannst du hier in meine Hütte kommen, dann bringe ich dir etwas sehr Wertvolles bei.“ Das Wertvolle, das er ihm beibrachte, war Capoeira. So beginnt die Geschichte des größten Meisters der Caporia Angola, Mestre Pastinha, dessen ganzer Name Vicente Ferreira Pastinha lautet.
1941, neun Jahre, nachdem Mestre Bimba seine Capoeiraschule eröffnete, gründet Mestre Pastinha in Salvador (im brasilianischen Bundesstaat Bahia) die erste Schule für Capoeira Angola. Er nennt seinen Capoeirastil „Capoeira Angola“, um sie von der Capoeira Regional Mestre Bimbas abzugrenzen und, um eine größere Nähe zu den Ursprüngen der Capoeira anzudeuten (da viele Sklaven aus Angola nach Brasilien gekommen waren).
Einer der berühmtesten Sätze, die Mestre Bimba schriftlich über die Capoeira hinterlässt ist der folgende:
Alles, was ich über die Capoeira denke habe ich eines Tages an die Tafel geschrieben, die an der Tür der Capoeiraschule hängt. Ganz oben nur diese drei Worte: Angola, Capoeira, Mutter; darunter der Gedanke: Mandinga des Sklavens in seinem Freiheitsdrang, der Anfang zeigt keine Methode und das Ende bleibt selbst dem weisesten Capoeirista unverständlich.“
Tatsächlich gibt es viele, die aufgrund der von Pastinha niedergeschriebenen Ideen und der weiteren Entwicklung der Capoeira der Ansicht sind, dass die Entstehung des Stils Capoeira Angola als eine Art Reaktion auf die Capoeira Regional zu werten ist. Die Tatsache, dass sich das Spiel der Capoeira Angola nahe am Boden bewegt, und reich an bodennahen, aleatorischen Bewegungen ist mit beinahe immer langsam ausgeführten Tritten auf Hüfthöhe, also eine Art Gegensatz zur Capoeira Regional darstellt, legt den Gedanken nahe, dass bei der Entwicklung der Capoeira Angola die Suche nach einer in der Vergangenheit verloren gegangenen Capoeira weniger Bedeutung hatte als die Notwendigkeit, einen Gegenpol zu Mestre Bimbas Erfindung darzustellen. In anderen Worten: Vielleicht stellt die Capoeira Angola vielmehr die Gegenwart der Zeit dar, in der sie entwickelt wurde, als die Vergangenheit, von welcher sie eigentlich eine „authentische Abbildung“ sein sollte.
Nichtsdestotrotz stellt die Capoeira Angola ein Element in den Mittelpunkt, welches bei der Capoeira Regional vielleicht in den Hintergrund gerückt sein mag: die Bedeutung des afrobrasilianischen Ursprungs der Capoeira und ihre Bedeutung als etwas, was von den Sklaven entwickelt wurde.
Mestre Pastinha starb 1981 im Alter von 91 Jahren, arm, blind und einsam. Erst nach seinem Tod fanden seine Ideen Anklang. Es entstanden Forschungen, die aufzuzeigen versuchten, dass die Capoeira durch Bimbas Bemühungen, sie zum „nationalen Sport“ zu machen, zu stark systematisiert und zu sehr als körperliche Ertüchtigung angesehen wurde und so nicht nur ihre afrobrasilianischen Wurzeln vergessen wurden, sonder auch ihre Bedeutung als Element der Identität und des Widerstands der Nachkommen der Sklaven.